verfasst von Prof. Dr. iur.et phil. Alfred de Zayas, Genfer Schule der Diplomatie
Mitglied des Beirats des Internationalen Friedensforschungsinstituts Genf
Sehr geehrte Frau Bundespräsidentin, Frau Viola Amherd
Sehr geehrter Herr Bundesrat und Aussenminister, Herr Ignazio Cassis
Der Vorschlag, ein Verbindungsbüro der Nordatlantikvertrags-Organisation in Genf unterzubringen, ist unklug. Die Schweiz ist seit dem Wiener Kongress von 1815 ein neutrales Land. Ihr wohlverdienter Ruf als verantwortungsvoller Staat und ehrlicher Makler steht auf dem Spiel. Die Idee, dieses Verbindungsbüro im Maison de la Paix (Haus des Friedens) einzurichten, ist eine Beleidigung für alle Schweizer Bürger und für alle UNO-Beamten, die sich wirklich für den Weltfrieden einsetzen.
Ein solcher Vorschlag muss als Orwellsches Wort, als Oxymoron, als Parodie auf den Begriff des Friedens angesehen werden.
Die Schweizer Bevölkerung hat sich nie für eine solche Annäherung an die NATO ausgesprochen. Persönlich bin ich als “neuer Schweizer” seit 2017 beunruhigt. Meine Sorge und die vieler anderer Neubürgerinnen und Neubürger ist, dass die Schweiz ihren neutralen Status ernsthaft aufs Spiel setzt, wie es bereits beim unklugen “Gipfel für den Frieden in der Ukraine” am 15. und 16. Juni 2024 auf dem Bürgenstock geschah, der kein ernsthafter Versuch einer Friedensverhandlung war, die tragfähige Lösungen für reale Probleme erarbeiten sollte, sondern leider ein Propagandaspektakel im Namen der NATO und ihrer Vasallen. Es war weniger als nutzlos – es war kontraproduktiv.
Seit der Auflösung des Warschauer Paktes im Jahr 1991 kann die NATO nicht mehr vorgeben, ein legitimes Verteidigungsbündnis zu sein. Sie ist eine Organisation für Krieg und Kriegstreiberei. Tatsache ist, dass die NATO versucht hat, die Funktionen der Vereinten Nationen im Bereich der Aufrechterhaltung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit an sich zu reißen, was gemäß Kapitel VII der UN-Charta die ausschließliche Domäne der UNO bleibt.
Als regionale Organisation fällt die NATO nicht unter Artikel 52 der UN-Charta, da sie nicht die in den Artikeln 1 und 2 der Charta niedergelegten Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen verfolgt, sondern in einer Weise handelt, die den Zielen der Vereinten Nationen zuwiderläuft. Seit 1997 ist sie eine Organisation, die systematisch andere Staaten provoziert und damit eklatant gegen Artikel 2 Absatz 4 der UN-Charta verstößt, der nicht nur die “Anwendung von Gewalt”, sondern auch die Androhung von Gewalt verbietet.
Zweifelsohne stellt jede NATO-Erweiterung eine Bedrohung für die Sicherheit anderer Staaten dar. In den letzten 30 Jahren haben wir mit wachsender Sorge die Umsetzung der NATO-Strategie zur Einkreisung anderer Staaten beobachtet. Dies stellt eine vorsätzliche Provokation und eine Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit im Sinne von Artikel 39 der UN-Charta dar.
In jüngster Zeit verschärft die größenwahnsinnige Idee, die NATO auf den asiatisch-pazifischen Raum auszuweiten, die ohnehin schon angespannte Lage in dieser Region.
In einem sehr realen Sinne hat sich die NATO seit 1999 zu einer “kriminellen Organisation” im Sinne der Artikel 9 und 10 des Statuts des Nürnberger Militärgerichtshofs (Londoner Abkommen vom 8. August 1945) und des Nürnberger Urteils von 1946 entwickelt. Es gibt solide Berichte und wissenschaftliche Studien, die zuverlässig die traurige Tatsache dokumentieren, dass NATO-Streitkräfte Verbrechen gegen den Frieden (Art. 6a, Nürnberger Statut), Kriegsverbrechen (Art. 6b) und Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Art. 6c) begangen haben. Die NATO hat diese Verbrechen u.a. in Jugoslawien, Afghanistan, Irak, Libyen, Syrien usw. begangen – bisher völlig ungestraft. Deshalb sollte der Internationale Strafgerichtshof gemäß Artikel 5, 6, 7 und 8 des Römischen Statuts Ermittlungen gegen die verantwortlichen NATO-Politiker und Militärs einleiten.
Als ehemaliger hoher Beamter des Amtes des Hochkommissars für Menschenrechte, Sekretär des Menschenrechtsausschusses und Leiter der Petitionsabteilung sowie als ehemaliger unabhängiger Experte des Menschenrechtsrates für die internationale Ordnung bin ich erstaunt, auf welch schlüpfriges Terrain sich die Schweiz mit ihrem “NATO-Kuschelkurs” begeben hat. Dies ist nichts weniger als ein ethischer und rechtlicher Irrweg.
Sehr geehrte Bundespräsidentin Viola Amherd, bitte setzen Sie sich mit aller Kraft für die Neutralität der Schweiz ein und stellen Sie die Autorität und Glaubwürdigkeit der Schweiz als Friedensvermittlerin wieder her.
Weitere Informationen zu den rechtlichen und historischen Aspekten finden Sie in meiner Trilogie über Menschenrechte:
Hochachtungsvoll,
Prof. Dr. iur.et phil. Alfred de Zayas, Genfer Schule der Diplomatie
Mitglied des Beirats des Internationalen Friedensforschungsinstituts Genf
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