von Pepe Escobar,
Was den globalen Süden angeht, so malt der Bericht von Hersh in blutroten Buchstaben eine wild gewordene Supermacht, die ein staatlicher Sponsor des Terrorismus ist.
Jeder mit etwas Verstand wusste bereits, dass es das Imperium war. Jetzt hat Seymour Hershs Bericht wie eine Bombe eingeschlagen. Darin wird nicht nur gezeigt, wie Nord Stream 1 und 2 angegriffen wurden, sondern es werden auch Namen genannt: vom toxischen Trio Sullivan, Blinken und Nuland (Straussianer, Neolib-Neokon) bis zum Teleprompter-Chef.
Der wohl strahlendenste Punkt in Hershs Erzählung ist, dass er die letzte Verantwortung direkt dem Weißen Haus zuschiebt. Die CIA ihrerseits kommt ungeschoren davon. Der gesamte Bericht lässt sich als die Suche nach einem Sündenbock lesen. Einem sehr zerbrechlichen, schäbigen Sündenbock – der mit den geheimen Dokumenten in der Garage, den endlosen Blicken ins Leere, der Fülle an unverständlichem Gemurmel und natürlich dem ganzen grässlichen, jahrelangen Familien-Korruptions-Karussell in und um die Ukraine, das noch vollständig aufgedeckt werden muss.
Hershs Bericht erschien zufällig unmittelbar nach den tödlichen Erdbeben in der Türkei/Syrien. Dies ist ein Erdbeben des investigativen Journalismus, das über Verwerfungslinien hinweggeht und zahllose offene Risse offenbart, Nuggets der Wahrheit, die inmitten der Trümmer nach Luft schnappen.
Aber ist das alles, was es gibt? Hält die Erzählung von Anfang bis Ende? Ja und nein. Zunächst einmal: Warum jetzt? Dies ist ein Leck – im Wesentlichen von einem Deep State Insider, Hershs Schlüsselquelle. Dieser „Deep Throat“-Remix des 21. Jahrhunderts mag über die Giftigkeit des Systems entsetzt sein, aber gleichzeitig weiß er, dass alles, was er sagt, keine Konsequenzen haben wird.
Das feige Berlin, das die ganze Zeit über den Kern des Vorhabens ignoriert hat, wird nicht einmal einen Pieps von sich geben. Immerhin ist die grüne Bande begeistert, denn der Terroranschlag hat ihren mittelalterlichen Plan zur Deindustrialisierung gründlich vorangebracht. Parallel dazu erhalten alle anderen europäischen Vasallen als zusätzlichen Bonus die Bestätigung, dass dies das Schicksal ist, das sie erwartet, wenn sie der Stimme des Meisters nicht folgen.
In Hershs Erzählung werden die Norweger als die wesentlichen Komplizen des Terrors dargestellt. Das überrascht kaum: Jens „Peace is War“ Stoltenberg von der NATO ist seit vielleicht einem halben Jahrhundert ein Aktivposten der CIA. Und Oslo hatte natürlich seine eigenen Motive, sich an dem Deal zu beteiligen: Es wollte eine Menge zusätzliches Geld verdienen, indem es seine überschüssige Energie an verzweifelte europäische Kunden verkaufte.
Ein kleines erzählerisches Problem ist, dass Norwegen im Gegensatz zur US-Marine immer noch keine einsatzfähigen P-8 Poseidon besitzt. (Anm.d.Ü.: Wie Pepe zu der Erkenntnis kommt, dass Norwegen „noch keine einsatzfähigen P-8 Poseidon besitzt“, ist mir nicht klar. Die erste P8 wurde im November 2021 übergeben. https://www.navalnews.com/naval-news/2021/11/boeing-delivers-first-p-8a-poseidon-mpa-to-norway/ )
Klar war damals, dass eine amerikanische P-8 zwischen den USA und der Insel Bornholm hin und her pendelte – mit Luftbetankung.
Ein echter Brüller ist, dass Hersh – oder besser gesagt, seine Schlüsselquelle – den MI6 komplett aus der Erzählung verschwinden ließ. Der SVR, der russische Geheimdienst, hatte sich damals wie ein Laser auf den MI6 konzentriert, ebenso wie auf die Polen. Was die Geschichte noch zementiert, ist, dass die Kombo hinter „Biden“ die Planung und die Informationen lieferte und die Logistik koordinierte, während der letzte Akt – in diesem Fall eine Sonarboje, die den C4-Sprengstoff zündete – von den norwegischen Vasallen verübt worden sein könnte.
Das Problem ist, dass die Boje möglicherweise von einer amerikanischen P-8 abgeworfen wurde. Und es gibt keine Erklärung dafür, warum einer der Stränge von Nord Stream 2 unversehrt blieb.
Hershs Modus Operandi ist legendär. Aus der Perspektive eines Auslandskorrespondenten, der seit Mitte der 1990er Jahre vor Ort ist, von den USA und der NATO bis in alle Ecken Eurasiens, ist es für jemanden wie mich leicht zu verstehen, wie er anonyme Quellen nutzt und wie er Zugang zu seiner umfangreichen Liste von Kontakten erhält – und diese schützt: Vertrauen funktioniert in beide Richtungen. Seine Erfolgsbilanz ist absolut konkurrenzlos.
Aber natürlich bleibt diese Möglichkeit: Was, wenn er ausgetrickst wurde? Ist dies nicht mehr als ein limited hangout? Schließlich pendelt die Erzählung wild zwischen winzigen Details und einigen Sackgassen hin und her, wobei ständig eine riesige Papierspur und zu viele Leute im Spiel sind – was ein übertriebenes Risiko impliziert. Dass die CIA zu lange zögert, um einen Anschlag zu verüben, ist ein Alarmsignal für die gesamte Erzählung – vor allem, wenn wir wissen, dass die idealen Unterwasserakteure für eine solche Operation von der CIA-Abteilung für Sonderaktivitäten und nicht von der US-Marine kommen würden.
Was wird Russland tun?
Vermutlich denkt der ganze Planet darüber nach, wie die russische Antwort aussehen wird.
Wenn man das Schachbrett betrachtet, sehen der Kreml und der Sicherheitsrat, wie Merkel zugibt, dass Minsk 2 nur ein Trick war. Der imperiale Angriff auf die Nord Streams (sie haben das Bild, aber vielleicht nicht alle Insider-Details, die von Hershs Quelle geliefert wurden); der ehemalige israelische Premierminister Bennett, der zu Protokoll gibt, wie die Anglo-Amerikaner den Friedensprozess in der Ukraine, der letztes Jahr in Istanbul auf den Weg gebracht wurde, zerstört haben.
Es ist also kein Wunder, dass das russische Außenministerium klargestellt hat, dass, wenn es um Atomverhandlungen mit den Amerikanern geht, alle vorgeschlagenen Gesten des guten Willens „ungerechtfertigt, unzeitgemäß und unangebracht“ sind.
Das Ministerium hat sich absichtlich und in bedrohlicher Weise sehr vage zu einem zentralen Thema geäußert: „Objekte der strategischen Nuklearstreitkräfte“, die von Kiew – mit Hilfe der Amerikaner – angegriffen wurden. Bei diesen Angriffen könnten „militärisch-technische und geheimdienstliche“ Aspekte beteiligt gewesen sein.
Wenn es um den globalen Süden geht, stellt der Hersh-Bericht in riesigen, blutroten Buchstaben die „Rogue Superpower“ als staatlichen Sponsor des Terrorismus dar: die rituelle Beerdigung – auf dem Grund der Ostsee – des internationalen Rechts und sogar des kitschigen Ersatzes des Imperiums, der „regelbasierten internationalen Ordnung“.
Es wird einige Zeit dauern, um vollständig zu identifizieren, welche Fraktion des Tiefen Staates Hersh benutzt haben könnte, um ihre Agenda zu fördern. Natürlich ist er sich dessen bewusst – aber das hätte ihn nie davon abgehalten, einen solchen Knaller zu recherchieren (drei Monate harte Arbeit). Die US-Mainstream-Medien werden alles tun, um seinen Bericht zu unterdrücken, zu zensieren, zu verunglimpfen und zu ignorieren; aber was zählt, ist, dass er sich im globalen Süden bereits wie ein Lauffeuer verbreitet.
In der Zwischenzeit hat Außenminister Lawrow, ähnlich wie Medwedew, den Stecker gezogen und angeprangert, dass die USA „einen totalen hybriden Krieg“ gegen Russland entfesselt haben, wobei beide Atommächte nun auf eine direkte Konfrontation zusteuern. Und da Washington die „strategische Niederlage“ Russlands zu seinem Ziel erklärt und die bilateralen Beziehungen in einen Brandherd verwandelt hat, kann es kein „business as usual“ mehr geben.
Die russische „Antwort“ – noch vor dem Bericht von Hersh – war eine ganz andere: eine fortgeschrittene Abkehr vom Dollar im gesamten Spektrum, von der EAEU bis zu den BRICS und darüber hinaus, und eine völlige Neuausrichtung des Handels auf Eurasien und andere Teile des globalen Südens. Russland schafft feste Voraussetzungen für weitere Stabilität und sieht bereits das Unvermeidliche voraus: die Zeit, sich frontal mit der NATO auseinanderzusetzen.
Was die kinetischen Reaktionen angeht, so zeigen die Fakten auf dem Schlachtfeld, dass Russland die amerikanische/NATO-Vertretungsarmee im Modus der strategischen Zweideutigkeit weiter zerschlägt. Der Terroranschlag auf die Nord-Streams wird natürlich immer im Hintergrund lauern. Es wird Reaktionen geben. Aber das wird zu einem Zeitpunkt, auf eine Weise und an einem Ort geschehen, den Russland selbst bestimmt.