Assange und die Elite
Macht Die Verfolgung des Wikileaks-Gründers ist die blanke Antithese des modernen Rechtsstaates. Es gilt, diesen zu verteidigen. Ein Artikel von Nils Melzer erschienen im „der Freitag„

Foto: Carl Court/AFP/Getty Images
Am 9. Mai 2019, knapp einen Monat nach Julian Assanges Ausweisung aus der ecuadorianischen Botschaft in London, besuchte ich ihn mit zwei Ärzten im Gefängnis und stellte klare Symptome psychischer Folter fest. Er war ein gezeichneter Mann, erschöpft, gehetzt und in die Enge getrieben. Im Jahr 2010 hatte er mit WikiLeaks die Medienwelt auf den Kopf gestellt. Von Kriegsverbrechen in Afghanistan und Irak über Folter in Guantánamo bis zu weltumspannender Korruption zog er die schmutzigen Geheimnisse der Mächtigen massenweise ans Licht.
Seither kämpft Assange um Freiheit, Wahrheit und Menschenwürde. Wie alle, die es wagen, die Privilegien der Mächtigen zu gefährden, bekam er deren Zorn zu spüren. Obwohl WikiLeaks schwerste Verbrechen bewiesen hatte, wurde kein einziges davon verfolgt oder wiedergutgemacht.Stattdessen wurde Assange als Vergewaltiger, Hacker, Spion und Hightech-Terrorist verschrien, der „Blut an seinen Händen“ habe und sich Recht und Gerechtigkeit entziehe. Keiner dieser Vorwürfe konnte je bewiesen werden, auch nicht mit illegalen Untersuchungs- und Überwachungsmethoden. Bewiesen ist hingegen, dass Assanges Verfahrensrechte und Menschenwürde systematisch verletzt und Beweismittel gefälscht, manipuliert sowie unterdrückt wurden.
Heute befindet sich Assange seit mehr als zwei Jahren im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh in London. Er sitzt keine Strafe ab. Angeblich geht es nur um Fluchtverhinderung. Als der chilenische Ex-Diktator Augusto Pinochet wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit in britischer Auslieferungshaft war, wurde er in einer Villa beherbergt und dann in Umgehung der Justiz aufgrund eines fragwürdigen Arztzeugnisses freigelassen. Nicht so Assange, dessen einziges „Vergehen“ die Enthüllung genau solcher Verbrechen war. Ihm wird der Hausarrest verweigert, er wird rechtswidrig von Familie und Außenwelt abgeschottet, kann weder seinen Beruf ausüben noch seine Verteidigung vorbereiten und wird ganz gezielt „weichgekocht“.
Der Auslieferungsprozess ist jetzt im dritten Jahr und wird praktisch unter Ausschluss der Öffentlichkeit und unter grotesker Missachtung der Verfahrensrechte durchgeführt. Im Januar bestätigte die erstinstanzliche Richterin die US-Anklage in allen Punkten und etablierte damit einen Präzedenzfall, wonach das Erhalten und Veröffentlichen US-amerikanischer und britischer Staatsgeheimnisse immer strafbar sei, unabhängig von Nationalität, Tatort oder öffentlichem Interesse. Hätte die Richterin auch die Auslieferung Assanges bestätigt, hätten seine Anwälte diesen skandalösen Präzedenzfall sofort ans Berufungsgericht weitergezogen. Also wurde die Auslieferung mit Verweis auf die harschen US-Haftbedingungen und Assanges Gesundheit vorerst abgelehnt. Prozesstaktisch geschickt, denn nun gingen anstatt Assange die USA in Berufung und bestritten nur die Unzumutbarkeit der US-Haftbedingungen, insbesondere durch Abgabe von Garantien. So haben die USA etwa auf das strengste Haftregime im berüchtigtsten Gefängnis verzichtet, nicht aber auf andere Orte und Formen der Isolationshaft. Auch das Versprechen, Assange könne eine Haft in seiner Heimat Australien absitzen, gilt erst nach Ausschöpfung aller Rechtsmittel in den USA, was zehn bis 20 Jahre dauern kann. Somit bieten die US-Garantien der britischen Justiz zwar einen Vorwand für Assanges Auslieferung, jedoch keinerlei Schutz für ihn.
Rechtsstaatlich haben die USA, Großbritannien, Schweden und Ecuador im Fall Assange komplett versagt. Dasselbe gilt für Drittstaaten wie Australien, Deutschland und Frankreich, die sich jeweils mit gequälten Worthülsen aus der Verantwortung stehlen und wider besseres Wissen ihr „Vertrauen“ in die britische Justiz beteuern. In Wahrheit sind sie hinter den Kulissen allesamt bereits so eng mit der Machtpolitik der USA verstrickt, dass sie zu einer unabhängigen und gesetzeskonformen Politik gar nicht mehr in der Lage sind. Für sie ist Julian Assange bloß ein Bauernopfer der Staatsräson, denn letztlich geht es hier nur um eines: um den Schutz des von den Mächtigen beanspruchten, rechtsfreien Raums der Staatsgeheimnisse – von den absolutistischen Herrschern des 17. Jahrhunderts „arcana imperii“ genannt und schon damals drakonisch durchgesetzt.
Mit dem Fall Assange meldet sich der undemokratische Geist der „arcana imperii“ zurück und damit die blanke Antithese des modernen Rechtsstaates. Es ist der ultimative Showdown zwischen Macht und Recht: Wollen wir diesen neuen Absolutismus, wo das gemeine Volk nur noch konsumierende Manövriermasse einer allmächtigen Elite ist und Behörden, Sicherheitskräfte und Medien deren willige Vollstrecker sind? Oder verteidigen wir den demokratischen Rechtsstaat und suchen nach Wegen, ihn für den Aufbau einer friedlichen, gerechten und nachhaltigen Weltordnung weiterzuentwickeln? Ob und wie wir die gewaltigen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts meistern können, wird davon abhängen, wie wir diese Frage beantworten.
Der Auslieferungsprozess ist jetzt im dritten Jahr und wird praktisch unter Ausschluss der Öffentlichkeit und unter grotesker Missachtung der Verfahrensrechte durchgeführt. Im Januar bestätigte die erstinstanzliche Richterin die US-Anklage in allen Punkten und etablierte damit einen Präzedenzfall, wonach das Erhalten und Veröffentlichen US-amerikanischer und britischer Staatsgeheimnisse immer strafbar sei, unabhängig von Nationalität, Tatort oder öffentlichem Interesse. Hätte die Richterin auch die Auslieferung Assanges bestätigt, hätten seine Anwälte diesen skandalösen Präzedenzfall sofort ans Berufungsgericht weitergezogen. Also wurde die Auslieferung mit Verweis auf die harschen US-Haftbedingungen und Assanges Gesundheit vorerst abgelehnt. Prozesstaktisch geschickt, denn nun gingen anstatt Assange die USA in Berufung und bestritten nur die Unzumutbarkeit der US-Haftbedingungen, insbesondere durch Abgabe von Garantien. So haben die USA etwa auf das strengste Haftregime im berüchtigtsten Gefängnis verzichtet, nicht aber auf andere Orte und Formen der Isolationshaft. Auch das Versprechen, Assange könne eine Haft in seiner Heimat Australien absitzen, gilt erst nach Ausschöpfung aller Rechtsmittel in den USA, was zehn bis 20 Jahre dauern kann. Somit bieten die US-Garantien der britischen Justiz zwar einen Vorwand für Assanges Auslieferung, jedoch keinerlei Schutz für ihn.
Rechtsstaatlich haben die USA, Großbritannien, Schweden und Ecuador im Fall Assange komplett versagt. Dasselbe gilt für Drittstaaten wie Australien, Deutschland und Frankreich, die sich jeweils mit gequälten Worthülsen aus der Verantwortung stehlen und wider besseres Wissen ihr „Vertrauen“ in die britische Justiz beteuern. In Wahrheit sind sie hinter den Kulissen allesamt bereits so eng mit der Machtpolitik der USA verstrickt, dass sie zu einer unabhängigen und gesetzeskonformen Politik gar nicht mehr in der Lage sind. Für sie ist Julian Assange bloß ein Bauernopfer der Staatsräson, denn letztlich geht es hier nur um eines: um den Schutz des von den Mächtigen beanspruchten, rechtsfreien Raums der Staatsgeheimnisse – von den absolutistischen Herrschern des 17. Jahrhunderts „arcana imperii“ genannt und schon damals drakonisch durchgesetzt.
ÜBER DEN AUTOR:
Nils Melzer ist UN-Sonderberichterstatter über Folter und lehrt internationales Recht in Genf sowie Glasgow. Sein Buch Der Fall Julian Assange. Geschichte einer Verfolgung ist im April bei Piper erschienen