Der Klimawandel lässt sich nur dann in den Griff kriegen, wenn die Welt möglichst bald unter dem Strich keine Treibhausgase mehr produziert. Was aber bedeutet «netto null» für die Schweiz? Diese und weitere Fragen hat ProClim-Präsident Reto Knutti in einem Artikel in der NZZ am Sonntag vom 20. Oktober 2019 diskutiert.
«Netto null» ist das Schlagwort in der Klimadebatte. Aus gutem Grund: Um den Klimawandel zu begrenzen, darf die Welt unter dem Strich keine Treibhausgase mehr ausstossen. Netto null ist nicht verhandelbar, sondern folgt aus der Ratifizierung des Übereinkommens von Paris. Demnach soll die Erwärmung auf «deutlich unter 2 Grad» und wenn möglich auf 1,5 Grad begrenzt werden.
Heute sind wir bei gut 1 Grad Erwärmung. Wir dürfen also nur noch eine gewisse Menge an Treibhausgasen in die Atmosphäre ausstossen und müssen dann auf netto null oder sogar negative Emissionen einschwenken. Aber was bedeutet das konkret, und sind wir auf Kurs? Eine Auslegeordnung für anstehende Debatten.
Was bedeutet netto null?
Das Ziel netto null ist mittlerweile breit anerkannt und basiert auf dem im Grundsatz einfachen Prinzip, dass jede Tonne CO2 langfristig etwa gleich viel zur Erwärmung beiträgt, egal wann und wo sie ausgestossen wird. Netto null ist damit eine einfache Milchbüchleinrechnung: Ist die erlaubte Menge emittiert, muss jede zusätzlich ausgestossene Tonne CO2 der Atmosphäre wieder entzogen werden, zum Beispiel durch technische CO2-Bindung oder CO2-Aufnahme in Wäldern oder Böden. Dies gilt für die gesamte Welt. Was aber bedeutet netto null in der praktischen Umsetzung für ein Land, eine Stadt, eine Person?
Um Emissionsziele festlegen zu können, müssen Systemgrenzen definiert werden: Was gehört dazu und was nicht? In der internationalen Klimapolitik werden heute nur Emissionen innerhalb der Landesgrenzen einem Land zugerechnet, nicht aber die Emissionen bei der Produktion importierter Güter. Das hat praktische Gründe: Emissionen anhand der Landesgrenzen lassen sich klar zuordnen. Zudem kann ein Land die Emissionen durch politische Massnahmen vor allem im Inland steuern.
Vergessen geht dabei, dass beispielsweise der Klima-Fussabdruck der Schweiz eigentlich mehr als doppelt so gross ist, wie der Inlandwert glauben lässt, Tendenz steigend. Luft- und Schifffahrt fehlen zudem völlig. Diese Systemgrenzen sinnvoll festzulegen, ist eine politische Aufgabe. Für eine Stadt ist das noch schwieriger. Gehört das Pendeln von ausserhalb zur Stadt dazu? Wird durch Flugreisen produziertes CO2 auch berücksichtigt? Ist Kompensation oder Sequestrierung erlaubt, und falls ja: innerhalb der Stadt oder auch anderswo, sogar im Ausland? Wie geht die Stadt mit Emissionen um, die sie wenig beeinflussen kann, weil sie durch nationale oder kantonale Regeln bestimmt sind?
Das Netto-null-Ziel bezieht sich meist auf CO2. Für die Einhaltung der Klimaziele sind aber auch weitere Treibhausgase wichtig. CO2 ist der grösste Verursacher der Erwärmung und stammt vorwiegend aus fossilen Brenn- und Treibstoffen sowie zu kleinen Teilen aus Landnutzungsänderungen und aus der Zementherstellung. Die weiteren Treibhausgase sind Methan und Lachgas, die vor allem durch Landwirtschaft und Viehhaltung entstehen, sowie die synthetischen Gase HFC, PFC, SF6 und NF3. Auch die Konzentration dieser Treibhausgase darf in der Atmosphäre irgendwann nicht mehr weiter ansteigen. Ein Netto-null-Ziel muss klarstellen, ob es nur auf CO2 oder auf alle Gase abzielt.