Die Medien gedenken auf breiter Front dem Massaker auf dem Platz des himmlischen Friedens vor 30 Jahren. Das Problem ist, es gab gar kein Massaker auf dem Platz, dort starb nicht ein einziger Mensch. Aber der Reihe nach.
Eine Untersuchung von Thomas Röper, veröffentlicht im Anti-Spiegel
Ich bin auf das Thema vor einigen Tagen durch eine Nachricht von einem Leser aufmerksam geworden, wofür ich mich an dieser Stelle bedanken möchte.
1989 war ich 17 Jahre alt, es war die Zeit einer großen Euphorie. Gorbatschow war der beliebteste Politiker in der westlichen Welt, der Kalte Krieg ging zu Ende, die sozialistischen Diktaturen brachen zusammen, DDR-Bürger flüchteten über Tschechien und Ungarn in den Westen. Und mitten in diese Euphorie platzte die Meldung von dem chinesischen Massaker mit tausenden Toten. Und Honecker lobte die Chinesen mit seiner zittrigen Fistelstimme für ihr entschlossenes Vorgehen gegen die „Konterrevulotion“. Wir waren alle schockiert.
Ich habe das dann so abgespeichert und mich nie mehr wirklich dafür interessiert. Dabei kann man ganz leicht herausfinden, dass es anders war, als die Medien heute wieder überall berichten. Kommen Sie mit auf eine kleine und einfache Recherche.
Ich beginne mit einer Google-Suche und finde dort den Artikel darüber auf Wikipedia. Dass man mit Wikipedia vorsichtig sein muss, ist spätestens seit den Filmen von Markus Fiedler „Die dunkle Seite der Wikipedia“ und „Zensur – die organisierte Manipulation der Wikipedia und anderer Medien„, sowie seiner Reihe „wikihausen“ bekannt. Ich habe das schon früher bemerkt, als ich 2014/2015 zu den Ereignissen in der Ukraine recherchiert habe. Die Ergebnisse erscheinen in diesen Tagen in überarbeiteter Form als Buch.
Bei den Recherchen habe ich festgestellt, dass Wikipedia-Artikel zu einem Thema sich in verschiedenen Sprachen sehr unterscheiden, sie sind nicht nur unterschiedlich lang, sie haben oft auch einen völlig unterschiedlichen Inhalt. Aber damit nicht genug, ich habe oft erlebt, dass man bei Wikipedia auf einen Satz stößt, für den eine Quellenangabe beigefügt ist, aber wenn man auf diese Quelle klickt und sie prüft, stellt man fest, dass dort das Gegenteil von dem steht, was in dem Artikel behauptet wird.
So auch bei dem deutschen Artikel auf Wikipedia „Tian’anmen-Massaker„. In der Einleitung steht folgender Satz mit Verweis auf Quelle Nummer vier:
„Presseberichte, die sich auf Quellen im chinesischen Roten Kreuz beriefen, nannten 2600 Tote auf Seiten der Aufständischen und des Militärs und rund 7000 Verletzte im Laufe der Woche in ganz Peking.“
Wer diese Quelle öffnet, findet jedoch nur eine Nachricht der US-Botschaft in Peking an das US-Außenministerium, die inzwischen freigegeben ist. Dort werden zwar die Ereignisse beschrieben, aber keine Zahlen über Tote und Verletzte genannt. Wikipedia stellt also eine Behauptung auf und gibt dazu eine Quelle an, die diese Behauptung nicht bestätigt. Das ist völlig unseriös, aber wer prüft schon die Quellen, wenn er einen Artikel bei Wikipedia liest?
Woher also kommt dann diese Zahl von 2.600 Toten? In einem Artikel der New York Times vom 21. Juni 1989 wird man fündig, der in der englischen Version des Wikipedia-Artikels verlinkt ist. Dort kann man lesen, dass Medien diese Zahlen unter Berufung auf das chinesische Rote Kreuz gemeldet hätten. Problem: Das chinesische Rote Kreuz hat die Zahl nicht gemeldet, wie die New York Times auch in dem Artikel mitteilt. Die Zahl haben sich also irgendwelche Medien ausgedacht. Trotzdem geistert sie auch 30 Jahre später noch durch die Medien.
Und der Korrespondent von CBS, der seinerzeit vor Ort von dem „Massaker“ berichtet hat, schrieb in einem Artikel zum 20. Jahrestag des „Massakers“ einen Artikel unter der Überschrift „There Was No „Tiananmen Square Massacre““ und erzählt von seinen Erlebnissen. Die Soldaten hätten zwar den Platz geräumt und dabei auch geschossen, aber nur in die Luft. Auf dem Platz selbst ist niemand gestorben.
Am Ende des Artikels teilt er dann mit, dass fraglos viele Menschen in der Nähe des Platzes gestorben seien, nur wie viele, das weiß bis heute kein Mensch. Und genau das entspricht der offziellen chinesischen Version der Ereignisse: Der Platz wurde geräumt und in Teilen Pekings gab es Zusammenstöße, bei denen es zwischen 200 und 400 Tote gegeben hat, darunter demnach auch Polizisten und Soldaten.
Um nicht falsch verstanden zu werden: Jeder Tote ist einer zu viel! Aber die immer noch herumgeisternden Meldungen von tausenden Toten sind offensichtlich falsch, auch wenn die BBC unter Berufung auf einen Diplomaten sogar einmal von 10.000 Toten berichtet hat. Diese Angaben werden von keiner neutralen Quelle gestützt.
China ist ein Staat, der damals schon gut eine Milliarde Einwohner hatte. Wenn dort 10.000 Menschen demonstrieren, wäre das im Verhältnis so, als wenn in Deutschland 1.000 Menschen demonstrieren. Das ist zwar interessant, würde aber kaum dazu führen, dass die Regierung ihre Politik ändert oder zurücktritt oder gar gleich die verfassungsmäßige Ordnung in Deutschland geändert wird, wie es von China damals gefordert worden ist. Dass dies keine leeren Behauptungen von mir sind, kann man derzeit in Frankreich beobachten, wo die Gelbwesten schon seit mehr als einem halben Jahr demonstrieren, aber die Regierung ignoriert ihre Forderungen und verschärft stattdessen das Demonstrationsrecht und lässt mit Gummigeschossen auf Demonstranten schießen.
Ich will das chinesische Vorgehen von 1989 keineswegs verteidigen, aber ich würde mir wünschen, dass die Medien und Geschichtsbücher korrekt berichten. Und dann dürfte es etwa so klingen: „Nach wochenlangen Protesten mit tausenden Teilnehmern beendete die chinesische Regierung die Proteste am 4. Juni gewaltsam, als Polizei und Militär den Platz räumten. In der Folge gab es Verhaftungen und auch Zusammenstöße in Peking, bei denen es über 100 Hundert Tote gegeben hat, die genaue Zahl ist nicht bekannt. Eine unabhängige Untersuchung der Ereignisse hat nicht stattgefunden.“
Auch das ist schlimm genug, aber es war eben kein „Tian’anmen-Massaker“, wie zum Beispiel Wikipedia es immer noch nennt.