Bis zu 100 Prozent Verbrennung des radioaktiven Materials und keine Unfallgefahren wie in Tschernobyl und Fukushima. Das ist das Versprechen des deutschen „Dual-Fluid“-Reaktors. Statt der Brennstäbe kommt ein radioaktiver Flüssigbrennstoff zum Einsatz. Im Notfall fließt dieser einfach aus dem Kreislauf ab.
„Atomkraft? Nein, danke!“ Das denken sich viele angesichts der Unfälle in Tschernobyl und Fukushima oder angesichts des Problems der Endlagerung radioaktiver Stoffe für Jahrtausende. Doch was wäre, wenn es gar nicht zur Kernschmelze mit ihren fatalen Folgen kommen kann und ein Reaktor keine langlebigen strahlenden Abfälle produziert? Genau in diese Richtung geht eine Entwicklung namens „Dual Fluid Reactor“ (DFR) vom Berliner Institut für Festkörper-Kernphysik.
„Unser Reaktorkern kann nicht schmelzen, weil der Brennstoff schon geschmolzen ist“, bemerkt Götz Ruprecht, Kernphysiker und Miterfinder des Dual-Fluid-Reaktors gegenüber Sputnik. Als Brennstoff kommen dabei flüssige radioaktive Salze oder verflüssigte radioaktive Metalle infrage.
Funktionsweise: Zwei Flüssigkeiten treffen sich im Kern
Im Gegensatz zum lange bekannten Flüssigsalzreaktor treffen sich im Reaktorkern allerdings zwei Flüssigkeitskreisläufe. In dem einen zirkuliert der radioaktive Brennstoff, im anderen bewegt sich geschmolzenes Blei, das die Wärme des Brennstoffs aufnimmt und sie aus dem Kern weiter transportiert. Für einen besonders effizienten Wärmeaustausch verlaufen die beiden Flüssigkeiten parallel zueinander in ca. 10.000 Röhren. Das Blei transportiert die Wärme dann weiter zu einem weiteren Wasser- oder Kohlenstoffdioxid-Kreislauf und letzterer treibt schließlich eine Turbine an, wodurch Strom entsteht.
In der Grafik ebenfalls zu sehen: Ein weiterer Kreislauf, in dem kurzlebige Elemente zirkulieren, und der als eine Art Vorwärmer für das Blei fungiert. Daraus lässt sich schon erahnen, dass der neue Reaktortyp auf die Vermeidung der Endlagerung angelegt wird. „Dass man langlebige Abfälle produziert, liegt an der unvollständigen Verbrennung“, erklärt Ruprecht. „Das ist ein Relikt aus der Zeit der militärischen Nutzung, als man sich leider für feste Brennelemente entschieden hatte. Das hat strategische Gründe gehabt, denn die ersten Druckwasserreaktoren wurden in U-Booten betrieben. Man hat an Land dann die Brennelemente produziert wie ein Magazin und dann die U-Boote bestückt.“
Für das Militär sei das praktisch gewesen, aber für den zivilen Bereich brauche es die Stäbe nicht, denn diese sind das Gegenteil von effizient. Ruprecht vergleicht den Prozess mit einem Köhlerofen, in dem aus Holz Kohle hergestellt wird. Beim Reaktor mit Brennelementen würde bildlich gesprochen die Wärme des verkohlenden Holzes genutzt und dann die eigentliche Kohle weggeschmissen. „Man verbrennt nur fünf Prozent des Brennstoffs, der in den Brennelementen ist, und der Rest, der gut spaltbar wäre, aber eben nicht in diesem Reaktortyp, wird nicht nur weggeschmissen, sondern muss auch endgelagert werden.“
Das Kreislaufprinzip löse dieses Problem. Bei jedem Durchlauf werde das Gemisch aufbereitet, gereinigt, Spaltprodukte abgeführt und nicht verbrannte wieder dem Kreislauf zugeführt. Das Prinzip, das hier auch für Trennung der beiden Brennstoffkreisläufe sorgt, ist vergleichbar mit einem Raffinerieturm. Je nach Dichte und Siedepunkt trennen sich die verschiedenen Komponenten auf verschiedener Höhe.
„Im Ergebnis hat man dann, wenn man das lange genug macht, annäherungsweise 100-prozentige Verbrennung“, betont der Kernphysiker. Der Brennstoff könnte bis zu 20fach ausgenutzt werden und der Abfall könne drastisch reduziert werden. Außerdem kann der DFR auch Atommüll konventioneller Kraftwerke auf diese Weise weiterverwenden. Natürlich blieben auch nach etlichen solchen Zyklen langlebige Nuklide übrig, aber für diese gibt es ein angeschlossenes Zwischenlager im DFR, in dem diese maximal 300 Jahre verbleiben sollen – im Gegensatz zu den hundertausenden Jahren, die Brennstäbe verlangen.
Radioaktives Material gilt dann als zerfallen, wenn die Aktivität unter die des entsprechenden natürlichen geförderten Urans fällt – und das ist nach 300 Jahren erreicht“, so Ruprecht.
Im Notfall läuft die Flüssigkeit einfach ab
Für den Fall, dass es im Kreislauf unerwartet heiß wird, gibt es auch eine recht simple Lösung: das überhitzte Salz bringt eine Schmelzsicherung zum Schmelzen und läuft in unterkritische Behälter ab, in denen es wieder abkühlt. Bei Bedarf kann es wieder hoch in den Kreislauf gepumpt werden. Die Rohre selbst sollen aus einem höchst korrosionsbeständigen Material sein, das in der Industrie für die Beförderung von höchst ätzenden Säuren verwendet wird. Im Idealfall sollen solche Rohre bis zu 60 Jahre halten, im schlimmsten Fall sollte ein Austausch alle 20 Jahre erfolgen. Bei den geringen Maßen des Reaktors – drei Meter Durchmesser – ist das mit keinen großen Materialverlusten verbunden. Der Reaktorkern selbst ist in der Produktion teuer, dafür entfallen aber Aufbereitung, komplizierte Sicherheitsvorrichtungen und die Endlagerung, was für große Einsparungen nach dem Bau sorgen soll.
Bei der Trennung der Spaltprodukte können außerdem wertvolle Edelmetalle gewonnen werden ebenso wie radioaktive Isotope für den medizinischen Gebrauch. So soll ein DFR jährlich 300 Gramm Molybdän 99 produzieren, was ein Vielfaches des Weltbedarfs decken würde.
Kernenergie ist die effizienteste erneuerbare Energie
Für Ruprecht führt kein Weg an der Kernenergie vorbei. „Ich und meine Kollegen sehen das – um mit Frau Merkel zu sprechen – als alternativlos an“, betont er. Denn mit den erneuerbaren Energien allein sei die Klimawende nicht zu stemmen. „Das ist physikalischer Fakt, denn man kann damit keine grundlastfähigen Kraftwerke bauen.“ Fossile Träger würden eines Tages auch erschöpft sein, was bleibe, seien nukleare Träger. „Da reichen die Ressourcen aus. Man kann tiefer graben, um das Uran aus der Erde zu holen oder aus dem Meerwasser zu extrahieren“, so der Kernphysiker. So sei der Bedarf für Millionen von Jahren gedeckt. „Sie wissen ja vielleicht, wie erneuerbare Energien definiert sind. Energien, die sich aus Ressourcen speisen, die weit über den menschlichen Zeithorizont reichen. Da kann man die Kernenergie getrost dazu zählen. Wir sehen Kernenergie als erneuerbare Energie“, schließt Ruprecht.
Für die weitere Entwicklung und Sicherheitsstudien werden allerdings Mittel gebraucht. Für den Bau des ersten solchen Reaktors veranschlagt Ruprecht etwa zehn Jahre. Die Entwicklungskosten dürften sich auf zehn Milliarden Euro belaufen. Das Patent für diesen Reaktortyp ist in Japan, Europa und seit letztem Jahr auch in Russland positiv geprüft. In den USA sollte eine Genehmigung bald auch kommen.
Quelle: Sputniknews.com
Das Interview mit Götz Ruprecht in voller Länge: