Der Klimawandel lässt sich nur durch einen Systemwandel aufhalten.
Was denken und wie handeln Klimastreikende, die mit Slogans wie „Wir sind hier, wir sind laut, wenn man uns die Zukunft klaut“, und mit der Forderung „Null CO₂-Emissionen ab 2030“ auf die Strasse gehen?
Am Samstag, 6. April finden in der Schweiz weitere Klimademonstrationen statt, zu denen neben Schülerinnen und Studenten ausdrücklich auch Eltern eingeladen sind.
Mitglieder des „Kollektivs Klimastreik Ostschweiz“ haben ihre Gedanken zum Klimawandel dargelegt die im Märzheft des Ostschweizer Kulturmagazins Saiten erschienen sind.
Die Position von Moritz Rohner; er ist 21jährig, lebt in St. Gallen und leistet momentan Zivildienst in einem Kindergarten.
„Ich lebe in einem Land, in dem ich fast alles Bio kaufen kann. In dem ich auf dem besten Schienennetz der Welt durch die Gegend fahren kann. In dem ich mir aussuchen kann, ob ich nachhaltig leben will oder nicht. Wer die Umwelt schützen will, hat die Möglichkeit dazu. Scheinbar.
Um zu merken, dass die Realität für die meisten Menschen anders aussieht, genügt ein Besuch in der Migros. Wenn die 500 Gramm Erdbeeren aus Spanien und vom romantischen Bio-Bauernhof entweder 3 Franken 50 oder 12 Franken kosten, ist ziemlich schnell Ende Gelände mit freier Wahl und Eigenverantwortung. Ich kann schliesslich niemandem, der nicht so einen dicken Geldbeutel hat, einen Vorwurf machen, wenn er oder sie ebenfalls Erdbeeren essen will, aber nicht die nachhaltigen für 12 Franken kauft.
Beim Thema Wohnen zeigt sich ein ähnliches Bild: Wer sich ein klimafreundliches Eigenheim bauen will, erhält massiv staatliche Unterstützung. Natürlich super das Ganze, aber die Mehrheit kann es sich halt nicht leisten, ein Haus zu bauen, sondern sitzt in schlecht isolierten Mietshäusern mit Ölheizung und kann absolut nichts dafür oder dagegen tun. Diese Dimension der Klimakrise wird leider erst auf den zweiten Blick erkennbar.
Lösungen sinnlos, wenn sie Mehrheit ausschliessen
Wer nach augenscheinlichen Lösungsideen für unsere Probleme sucht, wird schnell fündig. Viele Produkte könnten recht simpel klimaverträglicher produziert werden, und Vorschläge für neue Gesetze und Regelungen, um seitens der Politik Einfluss zu nehmen, gibt es en masse. Viele Unternehmen haben mittlerweile sogar den eigenen Anspruch, ihre Produkte grüner zu gestalten. Der Markt für umweltverträgliche Produkte war noch nie so gross wie heute.
Aber eben: Nachhaltig produzierte Lebensmittel und CO₂-neutrale Kleidung sind zwar schön und gut, aber absolut sinnlos, wenn sie für die Mehrheit der Bevölkerung unerschwinglich bleiben. Der Klimawandel kann nur dann aufgehalten werden, wenn alle Teile unserer Gesellschaft imstande sind, ein Stück dazu beizutragen.
Wir brauchen einen radikalen Systemwechsel
Dass sich Klimaverträglichkeit oft nicht mit dem eigenen Portemonnaie verträgt, ist nicht nur schade, es zeigt auch direkt auf, worum es eigentlich geht: Der Klimawandel ist die ultimative Prüfung für die Menschheit. Wir werden auf allen Ebenen auf die Probe gestellt, und das ist gut so. Wir wären schon lange imstande, ein Gesellschaftssystem zu entwerfen, das länger als ein paar Jahrzehnte oder Jahrhunderte überlebt. Jetzt brauchen wir einen radikalen Systemwechsel, weil wir das erste Mal alle direkt bedroht sind.
Ja, es stimmt, wir werden uns noch eine Weile von den Folgen der Klimakatastrophe freikaufen können. Dazu ist unser kapitalistisches Wirtschaftssystem schliesslich da: Bei jedem Frost entschädigen wir die Bauern und kaufen dann das Gemüse aus dem Ausland, bei jedem Hochwasser bauen wir neue Mauern, um der Natur entgegenzutreten. Dass das keine langfristige Lösung wird, ist klar.
Änderung ist leichter, wenn wir es gemeinsam tun
Also was tun? Darauf zu warten, dass ein System, das nur darauf ausgelegt ist, immer und immer mehr zu produzieren, das immer und immer mehr Leistung von den Menschen fordert und nur auf einen maximalen Profit ausgelegt ist, sich plötzlich auf magische Weise selbst neu erfindet und von Grund auf ändert, ist illusorisch. Nein, wir müssen die Sache anders angehen. Es muss für alle ein Interesse geben, die Natur am Leben zu halten. Wir müssen uns gegenseitig unterstützen und aufeinander achtgeben, denn den eigenen Lebensstil zu ändern, wird viel leichter, wenn wir es gemeinsam tun.
Wir müssen weiter miteinander auf die Strasse gehen und zeigen, dass wir viele sind, denen die Zerstörung der Erde und die wachsende soziale Ungerechtigkeit nicht egal sind. Und wir müssen unsere Verantwortung wahrnehmen und den richtigen Leuten die Mittel in die Hand geben, diese Probleme zu lösen. Gerade weil wir in einer Demokratie leben und nicht in irgendeinem abstrakten Herrschaftssystem. Gerade weil wir in diesem Land bei fast allem die freie Wahl haben.„